Sonntag, 12. Januar 2020

Rezension: `Agentterrorist` von Deniz Yücel


* * * * *
Sehr beeindruckend !!!














Bevor er 2017 in der Türkei inhaftiert wurde, kannte ich Deniz Yücel nicht.
Doch durch die vielen Medienberichte habe ich einiges von #FreeDeniz mitbekommen und die Entwicklungen dann interessiert verfolgt.
Auf der Buchmesse im Oktober 2019 habe ich ihn Live bei einer Diskussionsrunde erlebt und war ziemlich beeindruckt. Daraufhin habe ich dann direkt sein Buch gelesen.

`Agentterrorist` beginnt in der Zeit vor der Festnahme, Deniz Yücel war damals Türkeikorrespondent der „Welt“ und lebte in Istanbul. Zu diesem Zeitpunkt war er noch der Auffassung, ihm könne nicht wirklich viel passieren, wenn er seine Meinung kundtat. Doch das stellte sich als schrecklicher Irrtum heraus.

Nach einem längerem Aufenthalt in Polizeigewahrsam wurde er im März 2017 in das Hochsicherheitsgefängnis Silivri Nr.9 verlegt.

Deniz Yücel berichtet ausführlich, unter die Haut gehend, wie eine Anklage in der Türkei abläuft -  dass Richter und Staatsanwälte meist in der gleichen Wohnanlage wohnen, zusammen im Dienstwagen zum Prozess fahren und dementsprechend auch die Verhandlungen laufen. Für die Urteilsbesprechungen werden die Anwälte aus dem Saal geschickt, die Staatsanwälte bleiben. Es waren extrem viele, für uns unfassbare Dinge, die Yücel erzählt hat. Wäre es nicht so schreckliche Realität, ich hätte es schon fast wie einen Krimi gelesen.

Allerdings habe ich mich mit dem Lesen auch immer wieder schwergetan. Yücel schreibt sehr sprunghaft, kommt vom `Hölzchen auf Stöckchen´, wie man sagt. Gerade berichtet er aus dem Gefängnis, im nächsten Satz  geht es um andere Personen in einem anderen Jahr und im dritten Satz wieder um etwas anderes. Auch wurden sehr viele Leute namentlich genannt, die wohl niemand im Nachhinein noch wirklich auseinanderhalten konnte. Journalisten, Zeitungsmitarbeiter insgesamt, Politiker, Staatsanwälte, Freunde, Richter, Gefängnisinsassen usw. Sicher lag es teilweise auch an den fremd klingenden Namen.
Auf jeden Fall bin ich der Meinung, dass der Stoff  bestimmt für drei Bücher gereicht hätte.

Deniz berichtet über seine Isolationshaft mit den üblichen Schikanen, aber auch über Freundschaft, Liebe und kleine Glücksmomente. Es heißt immer wieder kämpfen, sich nicht hängen lassen, nicht aufgeben.


Durch geschickte Überlistung seiner Wärter und Aufsichtsbeamte schafft er es in der Zeit, ein Buch zu schreiben und es hinauszuschmuggeln. Die Art und Weise, wie er das angestellt hat, ließ mich oft schmunzeln, genau wie einige andere Szenen, was mir zeigt, dass er seinen Humor trotz allem nicht verloren hat.


Streckenweise bewundere ich Yücel, andererseits hätte ich ihn manchmal am liebsten geschüttelt, und ich glaube, seiner Ehefrau ging es ähnlich. Sie hätte ihn sich sicher oft weniger forsch gewünscht -  z.B. duzt der Staatsanwalt ihn einfach, Deniz lässt sich das nicht gefallen, duzt zurück, genau wissend, dass ihm das nicht von Vorteil sein kann. Aber er ist ein Kämpfer und garantiert kein Feigling.

Auch zu verschiedenen Zitaten, die immer wieder im Internet auftauchen, nimmt er Stellung. Es handelte sich damals um Satire, doch was einmal, aus dem Zusammenhang gerissen, geschrieben steht, bleibt so und taucht immer wieder auf.

Ich fand ´Agentterrorist´  hochinteressant, spannend, manchmal erschreckend, manchmal auch durchaus amüsant - vor allem, weil ich mich für dieses Thema vorher nicht sonderlich interessiert habe und ich nun ganz neue Einblicke bekommen habe.


                       


Vielen Dank an den KiWi Verlag  für die Zusendung des Rezensionsexemplares.

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